26.8.25

Ahlqvist: Die Kulturwörter der Westfinnischen Sprachen [väriä koskeva osa]

Die Kulturwörter der Westfinnischen Sprachen.
Ein Beitrag zu der Älteren Kulturgeschichte der Finnen
von Dr. August Ahlqvist
Helsingfors 1875
Verlag der Wasenius'schen Buchhandlung.

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[s.69-70]

Das Erz wird im Estnischen ärts (dieses deutsche Wort ist auch die ungarische Benennung desselben in der Gestalt érez), in den meisten anderen finnischen Sprachen hingegen mit dem russischen чугунъ (lugún) oder руда (rudá) benannt. Das letztere Wort führt uns nun zu dem eigentlichen und allgemeinen Namen des Eisens in den westfinnischen Sprachen, der f. und wot. rauta, estn. und weps. raud, liv. raud, raod und rōda, la. ruovdde ist. Besagtes russische Wort, das auch Blut (= das Rothe) bedeutet, repräsentirt eine Wörtergruppe, die in allen arischen Sprachen, welche die Finnen an der Ostsee umgeben, weitverzweigt ist. Im Litthanischen kommen vor: ruda Erz, Metall, rudis Rost, Eisenrost, rúdas braunroth, raudá rothe Farbe, raudus Erzstück; im Lettischen ruds röthlich, braun. Andererseits wird dasselbe Wort in den germanischen Sprachen angetroffen, wie z. B. goth. rauds roth, an. rauðr roth, rauði (Stamm rauða) Eisenocker, und damit zusammengesetzt rauða-blástr Reinigung oder Gass von rauði. Die Grundbedeutung in dem für alle diese Sprachen gemeinsamen Stamm scheint roth, braun zu sein, und die übertragene röthliche Erde, Eisenerz. Einzig und allein in der letzteren Bedeutung ist das Wort in die westfinnischen Sprachen gekommen. Es ist jedoch nicht leicht zu entscheiden, von welcher Seite diess geschehen ist. Das livische rōda weist auf das litth. rúda hin; da aber das Livische auch raod und laud hat, und die letztere Bildung oder die mit dem Diphthong au die allgemeinste ist, ist es wahrscheinlicher, dass das Wort identisch ist mit dem altnordischen Stamm rauða und dass es durch das Finnische in die baltisch-finnischen Sprachen gekommen ist.

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[s.90-96]

*) Herr Schiefner hat mich doch darauf aufmerksam gemacht, dass die Letten im Oberlande für Farbe das Wort kvarba haben.Die Kunst den Zeugen einige einfache Farben beizubringen ist bei den Finnen lange bekannt gewesen und bis auf die neuesten Zeiten gepflegt worden, wo die Kunstförberei immer mehr üeberfaand genommen hat und im ganzen Lande Terbreitet worden ist. Der Farbensinn kann jedoch bei den Völkern hier in dem düsteren, farblosen Norden nicht besonders anagebildet sein. So scheinen auch die Finnen zuerst durch Betrachtung des Farben-wechseis in den Fellen der Waldthiere zum Nachdenken über die Farben gekommen zu sein, was ich daraus schliesse, dass der Befriff Farbe im Finnischen karva (Haar) heisst*), sowie auch ans dem Umstand, dass solche Farben, die bei den Pelzthieren nicht angetroffen werden, z. B. gelb, grün und blau, theilweise entlehnte Namen haben. Eine Untersuchung der Farbennamen in den finnischen Sprachen giebt an die Hand, dass die Mundarten der baltischen Finnen im Allgemeinen in denselben übereinstimmen, dass aber eine vollständige Spaltung in dieser Hinsicht in den ostfinnischen Sprachen herrscht, welcher Umstand auch darauf hinweist, dass diese Namen verhältnissmässig spät entstanden sind, d. h. dass man spät angefangen hat, über die Farben zu reflectiren.

Weiss heisst im Finnischen valkea, mit welchem Worte auch Feuer und Licht benannt werden; es hat dieselbe Wurzel wie vah Licht, valaisen erleuchten, vaalea bleich u. s. w. und ihm entsprechen das wot. valkëa, e. valge, weps. valged, la. vielggad, liv. vālda. Weiter erstreckt sich das Gebiet dieses Wortes nicht, und die übrigen finnischen Sprachen bezeichnen diese Farbe mit verschiedenen Namen, unter denen das tscher. oṡa und mordv. akša mit dem tat. aq übereinzustimmen scheinen.

Gelb wird keltainen genannt, was ein Derivat von kelta gelbe Farbe ist, im Estnischen kõllane, kollane. Das Original dieser Wörter ist das litth. geita gelbe Farbe und geltas oder geltonas gelb, welches mit dem d. gelb, schw. gul, sl. жёлтыв (žóltij) identisch ist. Im Mordvinischen und Wotjakischen stimmen die Benennungen dieser Farbe ŧuža und ƫuš überein; ebenso im Ungarischen und Tscheremssischen sarga und sara, welche jedoch mit dem tat. sarị identisch sind, wovon auch das wog. sarneṅ weiss ein adjectivisches Derivat zu sein scheint. Im Livischen heisst diese Farbe vēri, welches das f. vihreä grün ist. Das Syrjänische benennt gelb und grün mit demselben Wort viž od. vöž, welchem das wotj. voš grün entspricht.

Die letztgenannte Farbe, grün, wird im Finnischen allgemein, sobald die Rede von gefärbtem oder gemaltem Grün ist, mit dem schwedischen Worte krööni, krööninen, ryöninen, und im Lappischen gruonas, ruonas benannt. Eine andere, weniger aligemeine Benennung des Grüns ist selinä vom slav. зелёныи (zelònịj), dessen Wurzel auch dem u. zöld grün zu Grunde zu liegen scheint. An eigenen Namen für diese Farbe fehlt es jedoch nicht. Ein derartiger ist das im westlichen Finnland gebräuchliche vihreä vom Stamm viha, scharfe Flüssigkeit, Galle (im Estnischen auch: Gift), welches auch für vihanta grün (von Feldern u. dergl.) und vihoittaa ins Grüne schillern, grün scheinen, grünen, zum Stammwort dient. Im Karelischen heisst diese Farbe ruohonpäinen (von ruoho Gras und pää Kopf, Wipfel, Spitze), womit das wot rohōkarvadnē und e. rohiline analog sind. Grasgrün wird im Estnischen auch haljas, haljak und haljakas genannt; das Wort kommt in dieser Bedeutung sowohl im Wotischen in der Gestalt aƚƚas, als auch im livischen in den Gestalten oƚas, aƚas, aƚƚ und ales vor. Dasselbe wird auch im Finnischen in den Gestalten halea, haljakka, haljakas theils in der Bedeutung hellgrün, theils und zwar am Allgemeinsten in der von grau angetroffen.

* In solchen Zusammensetzungen, wie hallikoira, halliparta (eigentl. hallakoira, hallaparta), ist das a im Worte halla in i übergangen, eine Erscheinung, die in Zusammensetzungen sehr gewöhnlich ist. Durch die in der Einleitung besprochene Verkürzung zuasammengesetzter Wörter kann das Wort halli grauer Hund bedeuten, sowie musti (durch einen gleichen Prozess verkürzt aus musta koira, musti-koira) schwarzer Hund.

** An der enteren dieser Stellen wird beschrieben, wie Wäinämöinen sein Fahrzeug zu einer neuen Freierfahrt nach Pohjola ausrüstete, die Seiten desselben mit Blau und Roth bemalte und den Vorder- und Hintersteven mit Guld und Silber überzog.

*** Dieser Vers gehört za der umständlichen Beschreibung von Ilmarinens Kleidung, als er sich zur Freierfahrt nach Pohjola begiebt. Aus der Beschreibung geht hervor, dass haljakka ein Kamisol oder vielleicht ein Wamms war. in der Tracht Wäinämöinens, die Kal. 41, 207 u.ff. beschrieben wird, entspricht dem haljakka ein sinihamonen blauer Rock; diese beiden Wörter sind also Synonyme, welcher Umstand auch die Bedeutung Rock vom blauem Tuch für das Wort haljakka bestäligt.
Diese letztere Farbe wird auch hallankarvainen und hallava genannt, von halla Reif* ebenso wie die allgemeinste Benennung dieser Farbe harmaa ein Derivat einer anderen Benennung des Reifes härmä zu sein scheint, wogegen das e. ahk, wot. āhka, weps. hahk, liv. ōgi od. āgi eine Gruppe für sich bilden, in gleicher Weise, wie la.ṯuorged, u. szürke und mordv. ṡardžu. Aber ausser den Bedeutungen hellgrün und grau wird das Wort haljakka im Russisch-Karelischen auch in der Bedeutung blau gebraucht, in der das Wort Kalevala 18, 9 und 595 steht**). Von dieser ursprünglichen Bedeutung im Wort haljakka ging man darauf über zu der Ton blauem Zeug, blauem Fries und sogar zu der Bedeutung Rock von solchem Zeuge, in der das Wort vorkommt im V. 355 des eben citirten Gesanges der Kalevala.***

Der allgemeinste Name der betreffenden Farbe ist sini, sininen, e. sinine, wot. sininē, weps. sinīne, liv. sinni, von welchem Worte das slav. синь, синiй (siń, siníj) das Original ist, wie auch von den Gestalten, die in den ostfinnischen Sprachen angetroffen werden, mordv. senem, tscher. simze und wog. siniṅ. Die Benennung dieser Farbe im Ungarischen kék scheint das tat. kük zu sein.

Das Ostjakische benennt mit dem Worte piti sowohl blau als schwarz. Die Benennung dieser Farbe ist in den baltischen Sprachen f. musta, liv. mustā, wot. mussa, e. und weps. must. Auf ostfinnischem Gebiet interessirt uns von den verschiedenen Benennungen dieser Farbe nur das söd des Wotjakischen und Syrjänischen, da dieses mit dem f. sysi, Stamm syte Kohle identisch zu sein scheint.

Die rothe Farbe heisst puna, woraus das Adjectiv f. punainen roth, e. punane, wot. punadnē, liv. punni stammt. Auch das Wort veri Blut dient in den finnischen Sprachen als Benennung dieser Farbe, sowie im f. verevä rothbackig, e. verev roth, und veres id., wog. vịr, üör und ostj. vịrti id. Im Lappischen heisst roth ruofsad, ruopses, ruopsak, im Mordvinischen jakster, im Tscheremissischen jakṡarga, im Wotjakischen und Syrjänischen görd.

Röthlich oder braun wird f. ruskea genannt, womit rusko und ruso Rothe am Himmel im Zusammenhang stehen, e. ruske, weps. rusked roth, la. ruṡkad röthlich; das russische русый (rúsij) hellbraun scheint mit diesem finnischen Wort verwandt zu sein. Als Benennung dieser Farbe wird auch das Lehnwort pruuni, ruuni gebraucht, welches das schw. brun, ebenso wie das u. barna das deutsche braun ist.

Die Farbstoffe, die früher gebraucht wurden, waren einfach und wurden der umgebenden Natur entnommen. Ein derartiger war der Schlamm oder der Oker der Moräste, dessen Name muju im Wepsischen zum allgemeinen Namen für Farbe, und das davon abgeleitete Verbum mujutan für färben übergegangen ist. Die meisten Farbstoffe wurden jedoch dem Pflanzenreich entnommen, indem die Rinde, die Wurzeln oder die Pflanze selbst zur Hervorbringung der Verschiedenen Farben gebraucht wurde. So heisst es in der Kalevala 47, 313 ff.

*) Die Angabe der Stoffe, woraus das Nets bestand, ist auch bezeichnend für die Kulturzustände einer nicht allzu entlegenen Vorzeit.
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Sammt dem Schmieder Ilmarinen
Stricket nun ein Nets von Bastschnur,
Macht es lärmend von Wachholder,
Färbte es mit Weidenwasser,
Macht's zurecht mif Weidenrinde*

* Sich Lönnrot's Kasvio an mehreren Stellen. Nach v. Düben (Om Lappland och Lapparne) sind die Farbstoffe, welche die Lappen noch jetzt gebrauchen, beinahe buchstäblich dieselben, wie die hier oben aufgezählten, deren die Finnen vor nicht langer Zeit sich bedienten. Lepechin erzählt дневныл записки путешествiя u. s. w. I Th. S. 122—126), dass die mordvinischen Weiber zu seiner Zeit roth mit Galium rubioides, gelb mit Genista tinctoria, blau mit Isatis tinctoria und grün mit Serratula tinctoria färbten. Die Kalmücken färbten zu der Zeit, nach den Angaben desselben Verfassers (S. 240), schwarz und ziegelfarben mit verschiedenen Mischungen der Erlenrinde.Mit den im Gesang genannten Stoffen färbte Wäinämöinen sein Netz grau oder schmutzfarben. Gelb färbte man mit Birkenlaub, mit Lycopodium complanatum und vorzugsweise mit Anthemis tinctoria; dunkelgelb mit Betula nana. Roth wurde mit Erlenrinde, aber meist mit den Wurzeln von Galium boreale, dem in den Liedern so viel besprochenen matara, la. madar, schw. moregräs, måra, madra, in der Volkssprache mattara, gefärbt. Braun färbte man mit Erlenrinde und einigen Moosarten; schwarz ebenfalls mit Erlenride, in späterer Zeit mit einem Zusatz von Vitriol oder Oker, und blaue Farbe erhielt man Yon Lycopodium oomplanatum in Verein mit Brasilienholz.*

Färben heisst im Finnischen painaa drücken, wahrscheinlich davon, dass das, was gefärbt werden sollte, eine längere Zeit im Färbewasser unter Druck gehalten wurde. Dieses finnische Wort hat das Lappische in den Gestalten painet, baidnet entlehnt, wogegen das verwandte painotama im Estnischen einweichen (Felle), gerben, lohen, und pain Einweichung (von Leder) heisst Die allgemeinste Benennung dieses Begriffes ist nun das dem schwedischen entlehnte värjätä, und im Estnischen das entsprechende värvima (von dem deutschen färben). Das Färben, sowie auch das Weben, war eine Beschäftigung, die ausschliesslich den Weibern angehörte, und von diesen beiden Beschäftigungen wurde geglaubt, dass dieselben weibliche Geister als Beschützerinnen hätten, wie aus der Kalevala 25, 425 ff. hervorgeht:

Singen kann ja nur der Singer,
Rufen nur der Frühlingskyckuk,
Färben nur der Bläue Göttin,
Weben nur die Webegöttin.

Das Sammeln der Färbegräser scheint besonders die Sache der Mädchen und jungen Weiber gewesen zu sein, was z. B. aus folgendem Anfang eines Gesellschaftsliedes für Mädchen hervorgeht:

Wandern, Schwestern, wir nach Bläue,
Schwägrinnen nach gelben Kräutern,
Bräute, wir nach rothem Labkraut

Auf einer solchen Wanderung konnte auch ein unvermuthetes Zusainmentreffen oder ein verabredetes Stelldichein mit einem Jüngling stattfinden; wenigstens heisst es in den Hochzeitsliedern, wo die Arbeiten aufgezählt werden, bei denen der Bräutigam Gelegenheit gehabt die Braut zu sehen, dass er sie auch getroffen, während sie beschäftigt war Färbegräser zu sammeln, und zu färben. Die Stelle (Kal. 19, 447—452) lautet:

Ging dann noch zum zweiten Male,
Schritt einher am Rand des Feldes,
Auf der Wiese war die Jungfran,
Schaukelt' auf dem Blumenanger,
Färbte roth in Eisengrapen,
Kocht' in Kesseln gelbe Farbe.

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