6.2.11

Köhler's Medizinal-Pflanzen: Rhamnus Frangula L.




Köhler's Medizinal-Pflanzen
in
naturgetrenen Abbildungen mit kurz erläuterndem Texte.

ATLAS
sur
Pharmacopoea germanica, austriaca, belgica, danica, helvetica, hungarica, rossica, suecica, Neerlandica, British pharmacopoeia, zum Codex medicamentarius, sowie zue Pharmacopoeia of the United States of America.

Herausgegeban von G. Pabst.

Band I.
Mit 88 Tafeln in Farbendruck nach Originalseichungen von Walther Müller in Gera.

Gera-Untermhaus.
Verlag von Fr. Eugen Köhler.
1887.



Rhamnus Frangula L.

Syn. Frangula vulgaris Reichb. Frangula Alnus Mill. Frangula Frangula Karst.

Faulbaum, Pulverholz, glatter Wegdorn, Brechwegdorn, Zapfenholz, Zweckenholz -
Black Alder, Berry-bearing Alder, Alder Buckthorn - Bourdaine, Bourgène.

Familie: Rhamnaceae.
Gattung: Rhamnus L.

Beschreibung. 13/4-3 m hoher Strauch (zuweilen auch baumartig) mit wechselständigen, dornenlosen, abstehenden, fast ausgebreiteten Zweigen, deren junge Triebe am oberen Theile sammt Blüthen- und Blattstielen fein und weich behaart sind. Rinde der jüngeren Aeste glänzend, rothbraun, mit weissen, meist quergestreckten Korkwarzen bedeckt; ältere Rinde matt-graubräunlich, im späteren Alter mattgrau, fem längsrissig, innen im frischen Zustande gelb, ausgetrocknet braungelb bis braun. Blätter meist wechselständig, zuweilen gegenständig, elliptisch meistentheils kurz zugespitzt, ganzrandig, kahl, oberseits dunkelgrün, unterseits bleichgrün, mit stark hervortretender Mittelrippe; letztere mit beiderseits 6-8 schräg abgehenden, nach dem Rande zu bogig verlaufenden, unterseits behaarten Seitennerven versehen. An der Basis der Blattstiele befinden sich 2 Nebenblätter, die sehr bald abfallen. Blüthen zu 2-6 aus den Blüthenachseln, langgestielt, zwitterig. Kelch glockig, mit 5 länglichen, spitzen, innen weissen, aussen grünlich- weissen Kelchlappen. Kronblätter zu 5, weisslich, kappenförmig, länger als die Staubgefasse. In der kapuzenförmigen Höhlung des Kronblattes liegt das mit kurzem Faden versehene Staubgefäss. Staubbeutel länglich-rundlich, 2 fächerig; Fächer der Länge nach aufspringend. Pollen oval, 3furchig. Der rundliche, grüne Fruchtknoten je nach der Zahl der Fächer 2- oder 3furchig, mit kurzem, dicklichem Griffel und endständiger, schwach 2-3 lappiger Narbe, Steinfrucht kugelig, von dem kreisförmigen Unterkelch unterstützt, erst grün, dann roth, zuletzt schwarz, mit grünlich-bläulichem, saftigem Fleische, 2 oder 3 einsamige, sehr harte Steinkerne enthaltend. Samen rundlich, umgekehrt-eiförmig, von der Form des Steinkerns, am Grunde seitlich genabelt. Embryo flach, gerade mit fast kreisrunden Samenlappen.

Anatomisches: Der Querschnitt der Rinde zeigt eina starke die nach aussen aus flachen, nach aus gewölbten, regelmässigen, kleinen, mit einem rothbraunen Inhalte versehenen Tafelzellen zusammengesetzt ist. Unter diesen Korkzellen befindet sich ein, aus tangential gestreckten, dickwandigen Zellen bestehendes Parenchym n dem späterhin durch Trennung der Zellen grossi ileimführen i a. Der Bast wird durch 1- bis 3reihige, schmale, aus radial gestreckten, chlorophyllhaltigen Zellen bestehenden Markstrahlen in ungleichbreite Baststrahlen getheilt, die zum grossen Theile aus Bastparenchym bestehen. Letzteres ist aus tangential gestreckten, nach innen zu allmälig quadratisch werdenden Zellen zusammengesetzt und enthält tangential geordnete Bastbündel, welche von Strängen krystallreichen Parenchyms umgeben sind. Die in diesem Parenchym vorkommenden, aus Calcium-oxolat bestehenden Krystalle besitzen eine rhomboedrische Form und treten in den Zellen einzeln auf, während dem die in dem übrigen Parenchym, mit Ausnahme der Markstrahlen, sonst noch vorkommenden Krystalleinlagerungen in rosettenförmigen Drusen auftreten. Die Zellen des Parenchyms und der Markstrahlen enthalten einen gelben Farbstoff: Frangulin.

Verbreitung. In feuchten Gebüschen und Laubwäldern von Nordafrika durch ganz Europa bis zum Polarkreis. In Mittelasien bis zum Altai. Der Faulbaum geht in Finnland und Lappland bis zum 66. Breitengrade empor.

Name und Geschichtliches. Rhamnus ist aus dem Griechischen ------, Dornstrauch (keltisch ram = Strauch) abgeleitet; frangula, von frangere, zerbrechen, bezieht sich auf die leichte Brechbarkeit des Holzes. Der Name Faulbaum ist abzuleiten aus der mürben, zerbrechlichen Beschaffenheit des Holzes, wird auch, namentlich von den älteren Botanikern, auf den fauligen Geruch des Holzes zurückgeführt. Der Name Pulverholz bezieht sich auf die Kohle, welche sich in vorzüglicher Weise zur Bereitung des Schiesspulvers eignet. Zapfen- und Zweckenholz sind Namen, die auf die technische Verwendung des Faulbaumholzes zu Zapfen und Hähnen an Weinfässern und zu Schuhstiften hindeuten. Der in manchen Gegenden gebräuchliche Name Schiss- oder Scheissbeere bezieht sich auf die abführende Wirkung seiner Beeren.

---- des Theophrast, ------- des Dioscorides, Rhamnus des Plinius und Columella soll gleichbedeutend mit Rhamnus oleoides L., -------- des Theophrast und Dioscorides, Rhamnus candidior des Plinius soll gleichbedeutend mit Rhamnus saxatilis L., ---------- des Theophrast, ------------ des Dioscorides soll gleichbedeutend mit Lycium europaeum L. gewesen sein. Die Alten scheinen hiernach den Faulbaum nicht gekannt oder ihm wenigstens keine Beachtung geschenkt zu haben. Die erste Nachricht über die medizinische Benutzung des Faulbaumes erhalten wir (nach Flückiger) von Pietro de Crescenzi in Bologna, der im Jahre 1305 die mittlere Rinde unseres Strauches, den er Avornus nannte, als abführendes Mittel empfahl. Im Mittelalter wurde die Rinde hauptsächlich als Rhabarbersurrogat verwendet, aus welchem Grunde sie Fehr und mit ihm andere Aerzte des 17. und 18. Jahrhunderts mit dem Namen Rhabarbarum plebejorum bezeichneten. Johann Wyer, fürstl. Clevescher Leibarzt, empfahl die Rinde gegen Hydrops. Die Faulbaumrinde war lange Zeit in Vergessenheit gerathen, bis sie durch Gumprecht im Jahre 1843 wieder zu Ansehen gebracht wurde. Lobelius nannte den Faulbaum wegen des schlechten Geruchs der Rinde Arbor foetida.

Blüthezeit. Mai, Juni; es werden jedoch Blüthen den ganzen Sommer hindurch angetroffen.

Offizineil ist die Rinde: Cortex Frangulae (Cortex Ehamni Frangulae, Cortex Avorni, Cortex Alni nigri) und früher auch die Beeren: Baccae Frangulae (Baccae Alni nigri). Die Rinde des Stammes und der starken Zweige wird im Monat Mai und Juni in 1/3 Meter langen Stücken abgelöst und getrocknet; durch letzteren Prozess rollt sie sich zusammen. Ihre Oberfläche ist matt grau-bräunlich, im Alter grau, im jüngeren Zustande mit weisslichen Korkwarzen besetzt. Der Querbruch ist kurzfaserig, gelblich. Sie riecht frisch widerlich und ist von sehr unangenehmem Geschmack; getrocknet schmeckt sie schwach bitterlich. Speichel und Wasser werden von ihr sofort gelb gefärbt. Jüngere Rinde ist weniger wirksam als ältere; auch muss die Rinde, bevor sie zu Arzneizwecken verwendet werden kann, mindestens 1 Jahr gelegen haben. Die Beeren besitzen einen fade-süsslichen Geschmack und sind von gleicher, nur etwas schwächeren Wirkung wie die Rinde.

Verwechselungen der Rinde können stattfinden: 1. mit der Rinde von Rhamnus cathartica L., die jedoch wegen der reicheren Verzweigung des Strauches in nur kurzen Stücken abgelöst werden kann, auch im trocknen Zustande stark glänzt, mehr rothbraun und querstreifig ist und einen sehr scharfen bitteren Geschmack besitzt; 2. mit der Rinde von Prunus Padus L., welche sich durch runde, graubräunliche, unregelmässig auftretende Korkwarzen, sowie durch die haarförmigen weissen Fasern, durch starke Längsrunzeln und durch adstringirenden Geschmack auszeichnet; 3. mit der Rinde von Alnus glutinosa Gaertn., deren Korkwarzen jedoch mehr rund sind und deren Querbruch uneben und nicht faserig erscheint.

Präparate. Aus der Rinde wird das Faulbaumextrakt: Fxtractum Frangulae, der Faulbaumsyrup: Syrupus Frangulae und die Faulbaumtinktur: Tinctura Frangulae gewonnen.

Bestandtheile. Die Rinde enthält eine sehr geringe Menge ätherischen Oeles, mehrere Harze, Zucker, eisengrünenden Gerbstoff, Aepfelsäure, Oxalsäuren Kalk, ein der Cathartinsäure ähnliches, Schwefel und Stickstoff enthaltendes Glykosid, ferner ein gelbes, krystallinisches, geruch- und geschmackloses Glykosid, welches Buchner Ehamnoxanthin (C20H20O10), Casselmann Frangulin (C6H6O3) nannte; ausserdem 0.02 % des auch in der Rhabarberwurzel vorkommenden Emodin (C14H4CH3(OH)3O2) und nach Gerber in dem wässerigen Destillate etwas Blausäure; das von Kubly entdeckte Avornin ist nach Faust unreines Frangulin. Nach Faust wird das Frangulin durch Säure in Traubenzucker (C6H12O6) und in Frangulinsäure (C14H10O5) gespalten. Aeltere, namentlich abgelagerte Rinde enthält mehr Frangulin als jüngere. Die Wurzelrinde enthält nach Binswanger mehr Rhamnoxanthin und Gerbstoff als die Rinde der oberirdischen Theile. Die Beeren enthalten nach Binswanger einen violetten, durch Säure roth, durch Alkalien grün werdenden Farbstoff, Bitterstoff, eisengrünenden Gerbstoff, Zucker, Pektin und nach Enz ebenfalls Rhamnoxanthin. Die Samen enthalten nach Binswanger 25% fettes, nicht trocknendes Oel, harzigen, bitter-kratzenden Stoff, eisengrünenden Gerbstoff, Zucker und gleichfalls Rhamnoxanthin. (Husemann, Pflanzenstoffe 894.)

Anwendung. Die Wirkung der Faulbaumrinde ist ähnlich der der Senna; sie wird gegenwärtig als purgirendes Mittel, namentlich bei Hämorrhoidalleiden, vielfach in Anwendung gebracht. Der Stuhlgang erfolgt bei massigen Gaben schmerzlos, wohingegen stärkere Gaben heftige Kolikschmerzen erzeugen. Sie wird meist in Form von Abkochungen unter Zusatz von Syrupus corticis Aurantii und wenn stärkere Wirkung erzielt werden soll in Verbindung von Natriumsulfat gereicht. Die Beeren sind neben ihrer purgirenden Wirkung auch brechenerregend. (Husemann, Arzneimitteil. 622.)

Litteratur. Abbildung und Beschreibung: Nees v. Esenb., Plant, medic, Taf. 361; Hayne, Arzneigew. V., Taf. 44; Berg u. Schmidt, Offiz. Gew., XIX*1; Bentley u. Trim., Taf. 65; Luerssen Handb. d. syst. Bot. 730; Karsten, Deutsche Flora 868; Wittstein, Handb. der Pharm. 221.

Drogen und Präparate: Cortex Frangulae: Ph. germ. 66; Ph. ross. 89; Ph. Neerl. 117; Ph dan. 82; Ph.suec. 52; Ph.U. St. 168; Berg, Waarenk. 194; Berg, Atlas XL. 94; Flückiger, Pharm. 483.
Fxtractum Frangulae: Ph. ross. 133; Ph. Neerl. 105; Ph. suec. 75; Ph. U. St. 119.
Syrupus Frangulae: Ph. Neerl. 250.
Bezüglich der Drogen und Präparate siehe auch Hager, Ph. Prx. L, 1106.

Tafelbesehreibung :
A Zweig mit Blüthen und Früchten, natürl. Grösse; 1 Blüthenknospe, vergrössert; 2 geöffnete Blüthe von der Seite, desgl.; 3 dieselbe von oben, desgl.; 4 dieselbe im Längsschnitt, desgl.; 5 Fruchtknoten mit Griffel und Narbe, desgl.; 6 u. 7 Staubgefäss, desgl.; 8 Pollenkörner, desgl.; 9 Frucht (Steinbeere), desgl.; 10 dieselbe im Längsschnitt, desgl.; 11, 12, 13, 14 Steinkern von verschiedenen Seiten, natürl. Grösse und vergrössert; 15 u. 16 dasselbe im Längsschnitt, desgl. Nach der Natur von W. Müller.

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