9.2.11

Köhler's Medizinal-Pflanzen: Cetraria islandica Acharius.




Köhler's Medizinal-Pflanzen
in
naturgetrenen Abbildungen mit kurz erläuterndem Texte.

ATLAS
sur
Pharmacopoea germanica, austriaca, belgica, danica, helvetica, hungarica, rossica, suecica, Neerlandica, British pharmacopoeia, zum Codex medicamentarius, sowie zue Pharmacopoeia of the United States of America.

Herausgegeban von G. Pabst.

Band I.
Mit 88 Tafeln in Farbendruck nach Originalseichungen von Walther Müller in Gera.

Gera-Untermhaus.
Verlag von Fr. Eugen Köhler.
1887.




Cetraria islandica Acharius.

Isländisches Moos, Isländische Flechte - Iceland Moss - Lichene ou mousse d'Islande.

Syn. Lichen islandicus L. Lobaria islandica Hoffm. Physcia islandica D. C.

Familie: Ramalineae. Gattung: Cetraria Ach.

Beschreibung. Der mittels einzelner, kurz fadenförmiger Haftorgane (Rhizinen) auf der Erde, Rinde etc. befestigte, blattartig-strauchige, vielfach gelappte, beiderseits berindete, auf beiden Flächen kahle, am Rande steif und dick gefranste Thallus bis 10 Ctm. hoch, aufsteigend, die einzelnen Individuen unter sich verwachsen oder mit den Fransen zusammengeklebt, am Grunde verschmälert, rinnenförmig oder fast röhrenförmig gerollt, nach oben verbreitert und wiederholt gabelig bis unregelmässig gelappt, mit nach oben verbreiterten, mit den Rändern nach oben zusammengeneigten bis gerollten, dickfransigen Lappen, im frischen Zustande häutig-lederig, auf der dem Lichte zugewendeten Seite olivengrün, grünlich-grau, oft blutroth gefleckt, auf der anderen Seite blasser, bis grünlich-weiss oder weisslich, mit weissen, blasigen oder grubigen Flecken, getrocknet knorpelig, auf der Vorderseite bis kastanienbraun, auf der Rückseite grau oder blassbraun. Spermogonien in den Randfransen befindlich, sich mit einer Pore öffnend und die kleinen stäbchenförmigen Spermatien auswerfend. Apothecien einzeln oder paarweise am Ende der Thalluslappen, der Lichtseite platt angedrückt und schief aufgewachsen, bis 1 Ctm. im Durchmesser haltend, rundlich oder breit oval, schildförmig, flachconcav, mit niedrigem, dicklichem, stumpfgekerbtem Rande, anfangs grünbraun, später kastanienbraun.

Je nach der Theilung des Thallus, der Breite und sonstigen Beschaffenheit der Lappen, Grösse der Apothecien unterscheidet man mehrere Varietäten. Die wichtigsten sind:

Var. crispa Ach.: Thalluslappen sehr schmal, vielfach getheilt, verbogen-kraus, die Ränder
zusammengeneigt, dicht mit kurzen, zahnartigen Borsten besetzt.

Var. subtubulosa Fr.: Thalluslappen sehr schmal, die Ränder zusammengeneigt und dadurch zum Theil oder auch ganz röhrig.

Anatomisches: Der Querschnitt durch einen fruchttragenden Lappen zeigt, von der Rückseite anfangend, eine aus engverfiochtenen Hyphen bestehende, pseudoparenehymatische, aussen braune, innen farblose Rindenschicht, welche nach innen zu in die aus nur locker verfilzten Hyphen bestehende Mark- oder Gonidienschicht übergeht. In dieser Schicht finden wir eine Masse Lufträume und auf der Grenze zwischen Mark und Rinde gruppenweis gelagerte, kugelige, zum Theil in Theilung begriffene, mit grünem Plasmainhalte ausgestattete Zellen, welche als die einzigen chlorophyllführenden Organe des Flechtenkörpers für die Assimilation zu sorgen haben. Bei einem sterilen Thalluslappen würde nun abermals eine Rindenschicht folgen; in unserem Schnitte stossen wir aber auf das Fruchtlager, welches aus einer, der Gonidienschicht entspringenden, dicht verschlungenen Hyphenmasse, Subhymenialgewebe, besteht, aus dem heraus sich die Sporenschläuche (Asci) und die etwas längeren und dünneren sterilen Begleiter der letzteren, die Paraphysen entwickeln. Die keulenförmigen Sporenschläuche enthalten 6-8 längliche, einzellige, farblose Sporen. Die Spermogonien sind ovale Höhlungen, welche in dem etwas angeschwollenen, dunkler gefärbten Ende der meist einfachen, auch gabelig getheilten oder unregelmässig verzweigten Fransen der Thalluslappen auftreten und zur Erzeugung der Spermatien dienen. Die eben beschriebenen Höhlungen sind ausgekleidet von einer dichten Schicht gegliederter, schwach verästelter, farbloser Hyphen, welche als Basidien (Mutterzellen) kleine, farblose, stäbchenförmige Zellen (sogen. Spermatien) abschnüren, die durch die am Scheitel des Spermogoniums befindliche Mündung, in farblose Gallerte eingebettet, aus dem Spermogonium austreten. Durch Stahl sind diese Spermatien als die befruchtenden Zellen erkannt worden. Die blasigen und weissen Flecken des Thallus werden durch eine luftreiche Wucherung des Markes und durch später erfolgende Sprengung dieser Wucherung hervorgerufen.

Verbreitung. Auf der Erde zwischen Moos, Gras und Haide durch ganz Europa und die arktischen und antarktischen Länder der Erde verbreitet. Im Norden auf der Ebene, in den gemässigten Klimaten vorzüglich in lichten Gebirgswäldern, bis 3000 Meter emporsteigend.

Blüthezeit. Die Erzeugung von Apothecien gehört in den gemässigten Klimaten zu den Seltenheiten.

Name und Geschichtliches. Auf Island und in Norwegen ist das isländische Moos schon seit den frühesten Zeiten sowohl arzneilich als namentlich auch als Nahrungsmittel im Gebrauche daher der Name. Cetraria, abgeleitet von cetra, kleiner Lederschild, wegen der schildartigen Form der Apothecien. Lichen von ----Flechte, ---- lecken, streifen, wegen des kriechenden Wachsthums auf der Oberfläche von Erde, Steinen, Bäumen etc.

Die ersten Andeutungen über die Flechte erhalten wir von Cordus, die erste Abbildung von Breyne (1672) mit der Bezeichnung Muscus Eryngii folio. Bartholin beschreibt sie 1671 unter dem Namen Lichen islandicus und hält sie, jedoch nur im Frühjahr, für purgirend. Die Kopenhagener Arzneitaxe enthält 1672 Muscus catharticus islandicus. Die erste chemische Untersuchung unternahm Hjärne 1744, der die Flechte mit Olaus Borchius als Arzneimittel empfahl.

Offizineil ist die ganze Pflanze: Lichen islandicus. Die Flechte wird von beigemischten Cryptogamen, Sand und anderen Unreinigkeiten gereinigt und geschnitten oder auch gepulvert vorräthig gehalten. Sie ist ohne Geruch und von bitterem und schleimigem Geschmacke; quillt im Wasser auf und bildet beim Kochen eine Gallerte.

Präparate. Das isländische Moos dient zur Herstellung von Lichen islandicus ab amaritie liberatus, Lichen islandicus elotus, Lichen islandicus amaritie privatus, Gelatina Lichenis islandici, Gelatina Lichenis islandici pulverata, Decoctum Cetrariae, Pasta Cacao cum Lichene islandico, Ptisana de Lichene islandico, Massa de Lichene islandico, Saccharuretum de Lichene islandico, Tabellae cum Lichene islandico.

Bestandtheile. Nach Berzelius, Knop und Schnedermann enthält die Flechte 70% Flechtenstärke (Lichenin) 16,7% Zellsubstanz, 2,0%krystallinischen Bitterstoff (Cetrarsäure) 0,9% Lichesterinsäure, 8% Zucker, Gummi, Fumarsäure (früher für eigenthümlich gehalten und als Flechtensäure bezeichnet); die anorganischen Bestandtheile betragen 1-2%. Das auch in anderen Flechten auftretende, dem Stärkemehl sehr verwandte Lichenin C6H10O6 ist der gallertbildende Stoff und besteht aus einer farblosen oder schwach gelblichen, spröden, harten, auf dem Bruche glasigen, geruchstark aufquillt, ohne sich zu lösen, jedoch mit kochendem Wasser eine schleimige Lösung giebt. Diese Gallerte nimmt in feuchtem Zustande mit Jod eine schöne blaue Farbe an. Sie besitzt zwar die Zusammensetzung der Stärke, aber nicht den Bau der Stärkekörner; man hat sie deshalb als Flechtenstärke bezeichnet. Das Lichenin liefert mit Sapetersäure gekocht keine Schleimsäure und unterscheidet sich dadurch von den Schleimarten im engeren Sinne. Nach Th. Berg ist das Lichenin, welches in reinem Zustande durch Jod nicht gebläut wird, von einem isomeren Körper, dem jodbläuenden Stoffe begleitet, den Flückiger als Dextrolichenin (ebenfalls mit der Formel C6H10O5) bezeichnet und ihn nur als ein Umwandlungsprodukt betrachtet.

Der Bitterstoff des isländischen Mooses, die Cetrarsäure C18H16O8, von Herberger entdeckt und Cetrarin genannt, aber erst von Koch und Schneden Weingeist bei Gegenwart von kohlensaurem Kali zugleich mit Lichesterinsäure un Thallochlor ausgezogen und durch Behandlung mit Weingeist und Umkrystallisiren rein erhalten wird, bildet ein schneeweisses, lockeres Gewebe von glänzenden, haarfeinen Nadeln, schmeckt sehr bitter, löst sich in Wasser fast gar nicht, wenig in Aether, leicht in kochendem, starkem Weingeist; sie liefert mit Alkalien sehr bitter schmeckende, gelbe, in Wasser lösliche Verbindungen. Lichesterinsäure (C14H24O3, nach Flückiger C14H34O8), die ausserdem noch in Acharicus muscaricus L. vorkommen soll, bildet eine lockere, weisse, aus rhombischen, perlglänzenden Tafeln bestehende, in Wasser unlösliche, in Weingeist, Aether, flüchtigen und fetten Oelen leicht lösliche Masse ohne Geruch, von kratzendem, nicht bitterem Geschmacke, mit einem Schmelzpunkt von 120°. Thallochlor unterscheidet sich von Chlorophyll durch Unlöslichkeit in Salzsäure. Die von Pfäff entdeckte Flechtensäure, von Demarçay und Schröder als Fumarsäure C4H4O4 erkannt, krystallisirt aus der wässerigen Lösung in gestreiften Prismen; sie schmeckt und reagirt stark sauer. Ihr Vorhandensein in C. island, wird übrigens bezweifelt.

Die Cellulose, mit Einschluss des Lichenins und Dextrolichenins, liefert beim Kochen mit verdünnter Schwefelsäure oder Salpetersäure gährungsfähigen Zucker, dessen Masse bis 70% der lufttrockenen Flechte beträgt und dessen Verwerthung zur Gewinnung von Weingeist von Stenberg und Müller in Vorschlag gebracht worden ist. (Husemann, Pflanzenstoffe 128, 318, 319.)

Anwendung. Sehr wichtiges Arzneimittel gegen Brustkrankheiten, in Form von Species, Decoct oder Gallerte gereicht. "Seine Hauptverwendung findet es bei Phthisis oder mit Abmagerung verbundener Bronchoblenorrhoe, wo es besonders indicirt erscheint, wenn gleichzeitig atonische Verdauungsschwäche ein Amarum und vorhandene Diarrhoe ein demulcirendes Mittel indicirt. Auch bei chronischem Durchfall mit Digestionsstörungen ist es verwendbar." (Husemann, Arzneimittell. 652.) Im hohen Norden ist die Pflanze als Nahrungsmittel sowohl für Menschen als Thiere von grosser Wichtigkeit.

Litteratur. Abbildung und Beschreibung: Nees v. Esenb., PI. med., Taf. 10; Berg und
Schmidt, Offiz. Gew., Taf. 32d; Bentley u. Trimen, Med. pl., Taf. 302; Luerssen, Handb. der syst. Bot. I. 221; Karsten, Deutsche Flora 162; Wittstein, Pharm. 352.

Drogen und Präparate: Licehen islandicas: Ph. germ. 154; Ph. austr. 83; Ph. hung. 265;
Ph. ross. 245; Ph. helv. 73; Cod. med. (1884) 60; Ph. Neerl. 146; Ph. dan. 147; Ph. suec. 117; Brit. ph. 78 (Cetraria); Ph. U. St. 72; Flückiger, Pharm. 270; Berg, Waarenk. 12; Berg, Atlas, Taf. II.
Lichen islandicas elotus: Ph. ross. 245.
Lichen islandicus amaritie privatus: Ph. helv. suppl. 56.
Gelatina Lichenis islandici: Ph. germ. 125; Ph. austr. 67; Ph. ross. 192; Ph. helv. suppl. 52;
Cod. med. (1884) 431; Ph. suec. 94.
Gelatina Lichenis islandici pulverata: Ph. austr. 68.
Decoctum Cetrariae: Brit. ph. 97.
Pasta Cacao cum Lichene islandico: PL dan. 175.
Ptisana de Lichene islandico: Cod. med. (1884) 612.
Massa de Lichene islandico: Cod. med. (1884) 476.
Saccharuretum de Lichene islandico: Cod. med. (1884) 537.
Tabellae cum Lichene islandico: Cod. med. (1884) 594.
Bezüglich der Drogen und Präparate siehe auch Hager, Ph. Prx. II, 351.

Tafelbeschreibung:
AB Pflanze in natürl. Grösse; 1 Thalluslappen mit Apothecium, vergrössert; 2 Thallusrand mit den die Spermogonien tragenden Fransen, desgl.; 3 einzelne Franse mit Spermatien entleerendem Spermogonium, stärker vergrössert; 4 dasselbe im Längsschnitt, desgl.; 5 Thalluslappen mit Apothecium im Querschnitt, desgl.; 6 Schnitt durch den Thalluslappen und das Apothecium, sehr stark vergrössert. Nach der Natur von W. Müller; sämmtliche Nebenfiguren nach Luerssen.

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