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7.2.11
Köhler's Medizinal-Pflanzen: Rhamnus cathartica L.
Köhler's Medizinal-Pflanzen
in
naturgetrenen Abbildungen mit kurz erläuterndem Texte.
ATLAS
sur
Pharmacopoea germanica, austriaca, belgica, danica, helvetica, hungarica, rossica, suecica, Neerlandica, British pharmacopoeia, zum Codex medicamentarius, sowie zue Pharmacopoeia of the United States of America.
Herausgegeban von G. Pabst.
Band I.
Mit 88 Tafeln in Farbendruck nach Originalseichungen von Walther Müller in Gera.
Gera-Untermhaus.
Verlag von Fr. Eugen Köhler.
1887.
Rhamnus cathartica L.
Syn. Cervispina cathartica Moench.
Kreuzdorn, Hirschdorn, Purgir-Wegdorn - Buckthorn - Nerprun purgatif.
Familie: Rhamnaceae. Gattung: Rhamnus L.
Beschreibung. Die holzige, verzweigte Wurzel entwickelt einen Strauch, seltener Baum von 1,75-4 Meter Höhe, mit reichbelaubten, sparrig ausgebreiteten, gegenständigen, abwechselnd sich kreuzenden, gegen die Spitze wiederholt gabeltheiligen, grau oder rothbraun berindeten Aesten, in der Gabel mit einem Dorn versehen, welcher als eine Verkümmerung des Endastes zu betrachten ist. Die jungen Triebe sind krautartig, grün. Die gegenständigen oder etwas verschoben gegenständigen Blätter gestielt, ziemlich kahl, eiförmig oder fast elliptisch, stumpf gespitzt, am Grunde stumpf oder bisweilen schwach herzförmig, kerbig gesägt, mit jederseits meist 3 vom Mittelnerven bogig aufsteigenden Seitennerven. Der rinnenförmige Blattstiel zerstreut behaart, 2-3 mal länger als die pfriemenförmigen, abfallenden Nebenblätter. Die grünlichen Blüthen in sitzenden Trugdolden aus den unteren Blattwinkeln der diesjährigen Triebe, mit oft zerstreut behaarten Stielen; die männlichen bald nach dem Blühen abfallend. Die achselständigen, kegelförmigen Knospen mit ziegeldachförmigen Deckschuppen. Der grüne Unterkelch in der männlichen Blüthe mehr becherförmig, in der weiblichen halbkugelig, in Form einer kreisrunden Scheibe der Frucht als unterlage dienend. Die 4, dem Bande des Unterkelchs angewachsenen Kelchlappen breit-lanzettlich, spitz, grünlich-gelb, bei der männlichen Blüthe zurückgeschlagen. Kronblätter 4, mit den Kelchblättern abwechselnd, sehr klein und schmal, lineal-lanzettlich, die Staubgefässe nicht umfassend, kürzer als die letzteren, in der männlichen Blüthe zurückgeschlagen. Staubgefässe 4, vor den Kronblättern stehend, in der weiblichen Blüthe durch gestielte Drüsen angedeutet, mit kurzen pfriemlichen Fäden und ovalen 2fächerigen, an beiden Enden ausgerandeten, am Rücken wenig über dem Grunde angehefteten, an den Rändern der Länge nach aufspringenden Staubbeuteln. Pollen länglich, 3 furchig, unter Wasser kugelig, 3 porig. Stempel frei, in der männlichen Blüthe verkümmert, mit 4fächerigem, unterkelchlangem, 4furchigem, 4eiigem Fruchtknoten, 4spaltigem Griffel und stumpfen Narben. Die aufsteigenden Eichen am Grunde der Mittelsäule angeheftet. Steinfrucht 2-6 Mm. im Durchmesser, von einer kleinen 8strahligen Scheibe, der vertrockneten Kelchbasis gestützt, unreif durch Längsfurchen deutlich 4 knöpfig und grün, reif kugelig, glatt, glänzend schwarz, durch den bleibenden Griffel kurz gespitzt, mit grün bräunlichem, saftigem Fleische, welches beim Trocknen stark zusammenschrumpft, wodurch die Frucht grobnetzrunzelig erscheint. Steinkerne vier, in der Mitte rechtwinkelig zusammenstossend, oder weniger, tiefbraun, mit pergamentartiger Schale, verkehrt-eiförmig, stumpf, 1-3kantig, auf der äusseren Seite mit einer Furche, auf der inneren mit einer Naht, am Grunde mit einer Schwiele. Samen einzeln in jedem Steinfache, aufrecht, durch Biegung der Ränder nach rückwärts auf dem Rücken mit tiefer, nach innen erweiterter Längsfurche, auf dem Querschnitt hufeisenförmig, eiweisshaltig. Embryo aufrecht, gelblich, in der Mitte des Eiweisses, mit blattartigen, gleich den Samen eingerollten Samenlappen und kurzem, nach unten gerichtetem Würzelchen.
Anatomisches: Die reife Frucht besitzt eine aus kleinen Tafelzellen bestehende Oberhaut; darauf folgt eine Reihe derber, kubischer Zellen, dann 6-10 Schichten ziemlich fest zusammenhängender, tangential gestreckter chlorophyllreicher Zellen, welche allmählig in das lockere, dünnwandige und grosszellige Fruchtfleisch übergehen, dessen innere Schichten radial gestellte sind. Letzteres wird von dem langgestreckten, verholzten Prosenchym dei Fachwände durch ein kleinzelliges, krystallführendes Parenchym getrennt. Das Fruchtfleisch enthält ziemlich feste Inhaltskörper von roth-violetter, vor der Reife schwach gelblicher Färbung, die aber durch das gleichzeitige Vohandensein eines gelben Farbstoffes grün erscheinen. Ebenso zeigt bei der Reife die Epidermis reichlich violetten Farbstoff (Flückiger).
Verbreitung. In Laubwäldern und Gebüschen durch fast ganz Europa verbreitet bis zum
60 und 61° nördl. Br.; fehlt in Schottland, dem nördl. Skandinavien und Russland, Griechenland, Südspanien
und Portugal.
Blüthezeit. Mai, Juni.
Name und Geschichtliches. Der Name Kreuzdorn (bei Gessner Krätzbeere, Wachenbeere, bei Bock Wegdorn, Wersenbeere, mittelniederdeutsch Steheldorn) ist abgeleitet von den Dornen die mit den Asten ein Kreuz bilden. Nach Grassmann ist jedoch Dorn (gothisch thaurnus) der ursprüngliche Name der Pflanze. Wegen Rhamnus siehe Rhamnus Frángula; cathartica von ---- reinigen, wegen der abführenden Wirkung der Beeren. Hirschdorn war die frühere Apothekerbezeichnung"spina cervina". Nach Flückiger ist die medizinische Verwendung wahrscheinlich vom Norden ausgegangen, denn schon die alten angelsächsischen Thierarzneibücher aus dem 11. Jahrhundert enthalten Hartsthorn (Hirschdorn). Ein aus Wales stammendes Arzneibuch des 13. Jahrhunderts empfiehlt den Saft der Beeren mit Honig als eröffnenden Syrup. Hieronynius Tragus lieferte die erste gute Beschreibung und Abbildung des Wegdorns (Rhamni alia species). Valerius Cordus nennt unseren Strauch Cervi spina und erwähnt der Bereitung des Saftgrüns mit Alaun; Gessner bezeichnet ihn mit Spina cervi. Syrupus Spinae cervinae ist schon Mitte des 16. Jahrhunderts in den deutschen Apotheken geführt worden. Der Name Rhamnus catharticus stammt von Lobelius.
Offizineil sind die Beeren: Fructus Rhamni catharticae (Baccae Spinae cervinae, Baccae
Früher auch die Rinde: Cortex Rhamni catharticae.
Die reifen Beeren werden im Monat September und October gesammelt und der frisch ausgepresste grünlich-schwärzliche Saft nach vorhergehender gelinder Gährung zu einem Syrup verarbeitet. Frisch besitzen die Beeren ein gelbgrünes Fleisch, getrocknet sehen sie innen braun, färben beim Kauen den Speichel grünlich, schmecken anfangs süsslich, dann ekelhaft bitter. Der frische Saft besitzt eine grüne Farbe, welche bei längerer Aufbewahrung in roth übergeht und ein spez. Gew. von 1,070 bis 1,075, ist von saurer Reaktion, widerlichem Gerüche und süsslichem, ekelhaft bitterem geschmacke. Durch Alkalien wird er gelb, durch Säuren roth, durch Eisenchlorid schmutziggrün gefärbt. Durch Fällung des Saftes reifer Beeren vermittels Alaun, Kalk oder Pottasche erhält man eine dunkelgrüne Masse, die gegenwärtig noch als Wasserfarbe dient; es ist dies das sogen. Saftgrün, Succus viridis.
Verwechselungen mit den Beeren von Rh. Frángula L. und Ligustrum vulgare L. lassen sich leicht erkennen. Erstere enthalten ein blasses Fleisch mit 2-3 flachen, erbsengelben Steinkernen ; letztere ein roth-violettes Fleisch.
Die Rinde ist von den jungen Zweigen zu sammeln; sie ist aussen graubraun, glatt, trocken, etwas runzelig, innen gelbgrün. Sie hat frisch einen widerlichen Geruch und unangenehmen, bitteren Geschmack.
Präparate. Der Saft (Succus Rhamni catharticae fructus inspissatus, Rob Spinae cervinae,
Extractum Rhamni catharticae) wird zur Herstellung von Syrupus Rhamni catharticae (Syrupus
Rhamni, Syrupus Spinae cervinae, Syrupus domesticus) und Syrupus Rhamni compositus (Syrupus domesticus verus) verwendet.
Bestandtheile. Vogel fand in dem Safte freie Essigsäure, Zucker, Farbstoff, Schleim und eine stickstoffhaltige Substanz. Hubert fand darin eine in Alkohol lösliche, röthlichgelbe, ekelhaft bitter schmeckende Materie von der Beschaffenheit des purgirenden Stoffes der Sennesblätter. Fleury erhielt aus den unreifen Beeren einen' in blassgelben, blumenkohlartigen Massen krystallisirenden Körper, von mehlteigartigem Geschmacke, welchen er Rhamnin nannte. Winckler fand in den unreifen Beeren neben Rhamnin ein goldgelbes, bitter schmeckendes Pulver, das als der purgirende Stoff (Cathartin, Rhamno-Cathartin) erkannt wurde. Weitere Versuche haben dargethan, dass in reifen Beeren nur Cathartin und kein Rhamnin gefunden wird, woraus Winckler den Schluss zieht, dass beim Reifen der Beeren das Rhamnin in Cathartin und Zucker verwandelt wird. Binswanger erhielt aus den reifen Beeren neben Cathartin violetten, durch Säuren roth, durch Alkalien grün werdenden Farbstoff, eisengrünenden Gerbstoff, Zucker, Pektin, Albumin. Nach Flückiger haben die bisherigen Untersuchungen noch keine genügende Sicherheit bezüglich der wirksamen Bestandtheile der Kreuzdornbeeren ergeben. Fleury fand in den Beeren von Rhamnus infectoria (Gelbbeere) ca. 12% krystallisirtes Xanthorhamnin (C48H66O20), begleitet von einem noch nicht rein gewonnenen Farbstoffe, den Schützenberger als Rhamnegin bezeichnet. Nach Liebermann und Hörmann zerfällt Xanthorhamnin durch Kochen mit verdünnten Säuren in Rhamnetin (C12H8O3(OH)2) und Isodulcit C6H10O5+ OH2. Es ist noch nicht festgestellt, ob die Kreuzdornbeeren nicht auch Xanthorhamnin nebst Rhamnegin enthalten. Die Samen enthalten nach Binswanger die nämlichen Bestandtheile wie die des Faulbaumes.
Anwendung. In früheren Zeiten wurden die Beeren frisch und getrocknet als Abführmittel gereicht, ebenso die Rinde bei Wassersucht und Podagra; jetzt wird Syrupus Rhamni catharticae bei Erwachsenen esslöffelweis, bei Kindern theelöffelweis als Abführmittel gegeben. Die Rinde wirkt brechenerregend und abführend. Husemann, Arzneimitteil. 623.
Litteratur. Abbildung und Beschreibung: Neesv. Esenb., Plant, med., Taf. 360; Hay ne, Arzneigew. V., Taf. 43; Berg u. Schmidt, Offrz. Gew., Taf. XVI «; Bentley u. Trim., Med. plants, Taf. 64; Luerssen, Handb. d. syst. Bot. II. 729; Karsten, Deutsche. Flora 870; Wittstein, Pharm. 445.
Drogen und Präparate: Fructus Rhamni catharticae: Ph. germ. 122; Ph. belg. 80; Cod. med. 65; Brit. ph. 270; Flückiger, Pharm. 833; Flückiger and Hanb., Pharm. 157; Hist. d. Drog. T., 304; Berg, Waarenk. 349.
Syrupus Rhamni catharticae: Ph. germ. 262; Cod. med. 559; Ph. belg. 251; Ph. helv. suppl.114; Brit. ph. 313.
Bezüglich der Drogen und Präparate siehe auch Hager, Pharm. Prx. II, 794.
Tafelbeschreibung:
A Zweig mit männlichen, B Zweig mit weiblichen Blüthen, natürl. Grösse; 1 Blüthenknospe, vergrössert; 2 männliche Blüthe, desgl.; 4 dieselbe im Längsschnitt, desgl.; 5 Staubgefässe mit den Kronblättern, desgl.; 6 Pollen unter Wasser, desgl.; 7 weibliche Blüthe, desgl.; 8 dieselbe im Längsschnitt, desgl.; 9 Stempel, desgl.; 10 Fruchtknoten im Querschnitt, desgl.; 11 Steinfrucht von verschiedenen Seiten, natürl. Grösse; 12 dieselbe zerschnitten, vergrössert;
13, 14 Same von verschiedenen Seiten, natürl. Grösse und vergrössert; 15, 16 derselbe im Längs- und Querschnitt, desgl. Nach der Natur von W. Müller.
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