10.2.11

Köhler's Medizinal-Pflanzen: Potentilla Tormentilla.




Köhler's Medizinal-Pflanzen
in
naturgetrenen Abbildungen mit kurz erläuterndem Texte.

ATLAS
sur
Pharmacopoea germanica, austriaca, belgica, danica, helvetica, hungarica, rossica, suecica, Neerlandica, British pharmacopoeia, zum Codex medicamentarius, sowie zue Pharmacopoeia of the United States of America.

Herausgegeban von G. Pabst.

Band I.
Mit 88 Tafeln in Farbendruck nach Originalseichungen von Walther Müller in Gera.

Gera-Untermhaus.
Verlag von Fr. Eugen Köhler.
1887.



Potentilla Tormentilla Schrnk.

Syn. Potentilla silvestris Neck. Tormentilla erecta L.

Blutwurz, Ruhrwurz, Rothheilwurz - Tormentil - Tormentille.

Familie: Rosaceae. Gattung: Potentilla L.

Beschreibung. Wurzelstock etwas schief in der Erde liegend, fast wagerecht, cylindrisch bis knollig und unförmlich, mehrköpfig, gerade oder etwas gekrümmt, höckerig, bis 7 Ctm. lang, 1- 2&rac12; Ctm. dick, mit vielen Wurzelfasern besetzt, aussen dunkelrothbraun, innen gelblichweiss, später roth und weiss gefleckt, bei alten Wurzelstöcken blutroth mit sternförmig geordneten, gelben Holzkörpern. Stengel 15-30 Ctm. hoch, aufrecht, bogig aufsteigend, bis fast niederliegend, nicht wurzelnd, stielrund, kurzhaarig, nach oben ästig. Stengelblätter sitzend, 3zählig, mit lanzettförmigen oder keilförmig-länglichen, in der oberen Hälfte eingeschnitten-gesägten, unterseits angedrückt behaarten Blättchen. Die zar Blüthezeit meist nicht mehr vorhandenen wurzelständigen Blätter langgestielt, 3- (auch 5-) zählig, mit rundlichen, nach vorn gekerbt-sägeartigen, gegen die Basis schmäler werdenden Blättchen. Nebenblätter sitzend, gross, 3-5- und mehrspaltig; Abschnitte lanzettförmig. Blüthen einzeln, auf langen, den Blattwinkeln entspringenden, dünnen Stielen, oder gipfelständig. Der bleibende Kelch 8spaltig, aus einem Haupt- und Nebenkelche bestehend; ersterer mit eilanzettlichen, zugespitzten Abschnitten, letzterer aus lanzettlichen Blättchen bestehend. Blumenkrone 4blätterig; Kronenblätter umgekehrt-herzförmig, gelb, am Grunde mit einem dunklen Flecken. Staubgefässe meist 16, kürzer als die Krone, mit pfriemenförmigen Filamenten und 2fächerigen, rundlichen Staubbeuteln. Stempel zu 5-12 und darüber, mit umgekehrt-eiförmigem Fruchtknoten, fadenförmigem, dem Fruchtknoten seitlich entspringendem Griffel und stumpfer Narbe. Früchtchen zu 5-12 und mehr, auf dem trocknen Fruchtboden vom bleibenden Kelche umgeben, schief eiförmig, kahl, schwach runzelig.

Potentilla Tormentilla bildet mit der ihr ähnlichen Potentilla procumbens Sibth. hin und
wieder einen Bastard.

Anatomisches: Der Querschnitt des Rhizoms zeigt eine dünne Rinde mit einem darunter befindlichen Kreise hellerer Gefassbündel und ein weites Mark. Das anfangs in den Zellen auftretende Stärkemehl soll sich später in Harz umwandeln.

Vorkommen. In lichten Wäldern, auf Triften, Haiden, trocknen und feuchten Wiesen, vorzüglich aber auf feuchtem Boden durch ganz Europa mit Ausschluss der südlichsten Landstriche, auch im nördlichen Asien.

Blüthezeit. Juni bis zum Herbst.

Name und Geschichtliches. Der Name Blutwurz (althochdeutsch fic- oder figtvurz, turnella, mittelhochdeutsch Fri- oder Frigwurz, bei Hildegard Birckivurz und Dornella, bei Brunfels, Bock und Cordus Blutwurz, bei Tabernaemontanus Feigwurz, Herzwurz, bei Fuchs roth Heilwurz) bezieht sich auf die rothe Farbe des Wurzelinnern. Die altdeutsche Form gensinc (Gensing, Gensich, Gänzing) für Potentilla bezieht sich auf Pot. anserina, von der Brunfels sagt: "Disses kraut essen die gänss gern, ist jnen anmutig, und darumb würt es auch von den gänssen genennet." Potentilla {---------, Quinquefolium der Alten) ist Diminutiv von potens mächtig, potentia Kraft, also kleines, heilkräftiges Kraut, weil mehrere Arten für sehr heilkräftig gehalten wurden. Tormentilla, Verkleinerungswort von tormentum Schmerz, weil es früher gegen Ruhr (Leibschmerz) und nach Bauhin gegen Zahnschmerz Verwendung fand. Nach Wittstein ist Lucius Apulejus Barbarus (im 4. Jahrh. n. Chr.) wohl der erste, der Tormentilla erwähnt und dessen "meynung" Brunfels nebst einer leidlichen Abbildung wiedergiebt wie folgt: "Es ist ein kreitlein Tormentilla genannt, welches etlich auch für ein Fünffingerkraut achten, darumb, das es ym gleich syeht, wie wol es syben blättlin hat, und nicht fünffe, möcht billicher genannt werden Heptaphyllon oder Septemfolia, Sybenfingerkraut. Auss welcher Tormentillen wurtzel die apotheker küchlin machen, zu den Theriackis etc." In dem Mittelalter war die Verwendung der Tormentille eine sehr vielfache und die von ihr gewonnenen Arzneimittel standen in hohem Ansehen, wofür das Capitel Tugenden und Artzneyen" in Otto v. Brunfels "Kräuterbuche" spricht.

Offizinell ist der Wurzelstock: Rhizoma Tormentillae {Radix Tormentillae).

Der Wurzelstock wird im Frühjahre, bevor sich die Wurzelblätter entwickeln, gesammelt, gewaschen und nach Entfernung der Wurzelfasern getrocknet. Die trockne Wurzel ist hart und rauh, leicht zerstossbar und liefert ein hellbräunlichrothes Pulver. Sie ist im trocknen Zustande geruchlos, im frischen Zustande von schwach rosenartigem Gerüche; der Geschmack ist rein, nicht unangenehm herbe. Das Rhizom wird geschnitten, grob und fein gepulvert vorräthig gehalten.

Bestandteile. Die Wurzel enthält nach Meissner eisengrünenden Gerbstoff (Tormentillgerbsäure), Harz, Wachs, Gummi, rothen Farbstoff, Stärkemehl, Chinovasäure, Ellagsäure.

Die Tormentillgerbsäure (C2H22O11), welche aus der wässerigen Abkockung durch Behandlung mit Bleizucker, Schwefelwasserstoff und Bleiessig gewonnen wird, fällt Leimlösung und färbt Eisenchlorid blaugrün. Beim Kochen mit verdünnter Schwefelsäure verwandelt sie sich in ein rothbraunes, amorphes, in Wasser unlösliches Pulver, Tormentillroth, mit einer annähernd gleichen Zusammensetzung. Tormentillroth liefert bei der Behandlung mit Kalihydrat Protocatechusäure und Phloroglucin und wird als identisch mit Ratanhia- und Kastanienroth betrachtet. Die bereits unter Cinchona abgehandelte Chinovasäure (C24H38O4), welche man durch Kochen der Tormentillwurzel mit dünner Kalkmilch und Behandlung des Auszuges mit Salzsäure, Barytwasser und Thierkohle als weisses, sandiges Krystallpuher erhält, ist geschmacklos, unlöslich in Wasser und Chloroform, schwer löslich in Weingeist und Aether, löslich in conc. Sehwefelsäure, leicht löslich in wässerigem Ammoniak und in wässerigen, ätzenden, kohlensauren Alkalien. Die in Fichtenlohe, namentlich aber in den Galläpfeln vorkommende, in der Tormentillwurzel in geringer Menge auftretende Ellagsäure (C14H6O8) bildet ein blassgelbes, leichtes, krystallinisch.es Pulver, welches je nach der Gewinnung aus hellgelben kleinen Säulen und hochgelben, seidenglänzenden, gekrümmten Nadeln besteht, ist geschmacklos, reagirt schwach sauer und besitzt ein spez. Gew. von 1,667.

Anwendung. Die als deutsche Ratanhia bezeichnete Wurzel findet als Pulver oder Aufguss bei Durchfall und Ruhr, passiven Schleimflüssen, auch bei Wechselfieber Verwendung und wird namentlich als Hausmittel gebraucht. Das mittelfeine Pulver wird als gutes Zahnpulver gerühmt, das feine Pulver dient als Streupulver für wunde Hautstellen. Ist in seinen Wirkungen der Ratanhiawurzel ähnlich. (Husemann, Arzneimittell. 510.)

Litteratur. Abbildung und Beschreibung: Nees v. Esenb., Plant, med., Taf. 309; Hayne,
Arzneigew. II, Taf. 43; Bentley u. Trim., Med. pl., Taf. 101; Luerssen, Handb. der syst. Bot. 844; Karsten, Deutsche Flora 764; Wittstein, Pharm. 859.

Drogen und Präparate: Ehizoma Tormentillae: Ph. germ. 229; Ph. helv. 112; Cod. med. 81;
Ph. belg. 86; Ph. suec. 180; Berg, Waarenk. 109.

Bezügl. der Drogen und Präparate siehe auch Hager, Ph. Prx. IL 1144, III. 1170.

Tafelbesehreibung :
A Pflanze in natürl. Grösse; 1 Blüthe, vergrössert; 2 dieselbe im Längsschnitt, desgl.; 3 Kronblatt, desgl.; 4 Staubgefässe. desgl.; 5 Pollen, desgl.; 6 Stempel, desgl.; 7, 8 einzelne Stempel, desgl.; 9 Frucht, desgl.; 10, 11 einzelnes Früchtchen von verschiedenen Seiten, natürl. Grösse und vergrössert; 12, 13 dasselbe im Quer- und Längsschnitt, vergrössert. Nach der Natur gezeichnet von W. Müller.

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